Capitol

85 Jahre Capitol Mannheim – auch ein bisschen persönliche Geschichte

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Es war mal wieder so ein Abend, der mir das Pipi in die Augen trieb. Nicht nur einmal am Ende, sondern gleich mehrfach. Es war ein Abend der Gefühlswallungen. Das Capitol in Mannheim feierte seinen 85. Geburtstag und den 15. unter „neuer Leitung“ – wenn man da überhaupt noch von „neu“ reden kann.

Mehr als 30 Künstler gestalteten diesen Abend unter der blauen Kuppel mit Songs aus 25 Eigenproduktionen, die das Haus in den vergangenen 15 Jahren auf die Beine gestellt hat. Titel von Queen bis Cindy Lauper, von „Little Shop of Horrors“ bis „Nessun dorma“. Wenn mich so ein Abend emotional so sehr einfängt, dann, weil ich tatsächlich befangen bin. Vor 15 Jahren war ich einer der drei Spinner, die sich in den Kopf gesetzt hatten, das geschlossene Kino, Live- und Eventhaus wieder zu beleben und zu bespielen. Wir waren Ende zwanzig, hatten nicht viel Ahnung, aber einen großen Traum. Und diesen Traum Ende des Jahres 2012 so lebendig wie selten auf der großen Bühne zu sehen, war überwältigend.

85 Jahre Leidenschaft: Die Show zum Capitol-Geburtstag
85 Jahre Leidenschaft: Die Show zum Capitol-Geburtstag

Thorsten Riehle, Mike Haymann und ich wurden 1995/96 über die Musical-Produktion „Human Pacific“ (in der unter anderem Xavier Naidoo und Bülent Ceylan, hoffnungsvoll talentiert, mitspielten) zusammengespült. Thorsten produzierte, Mike machte die Technik, ich schrieb für die Zeitung darüber – und verlor bald die journalistische Distanz, weil ich Teil des Ganzen wurde. Wir wurden ein Klüngel Kumpels, der kulturell arbeiten und veranstalten wollte, nicht unbedingt an einer einzigen Spielstätte, überall in der Stadt und in der Region wollten wir aktiv sein. Als Büro-Adresse hatten wir uns aber das Capitol ausgeguckt, ein imposantes Kino mit wechselvoller Geschichte, ein Gebäude, für das die Bezeichnung „Lichtspielhaus“ erfunden worden sein musste, eröffnet am 30. Dezember 1927 mit Murnaus „Sunrise“. Für Generationen von Mannheimern war es ein Tempel, eine Pilgerstätte. Die – das muss man ehrlicherweise sagen – irgendwann abgehängt wurde. Die Generation der Schuhschachtelkinocenter ertrug das Haus noch einigermaßen duldsam, da hatte die riesige Leinwand und der Saal mit gut 700 Sitzplätzen immer noch ein Alleinstellungsmerkmal;  richtig eng wurde es erst in der Zeit der Mulitplexe. Mit Digital-Dings und Audio-Wumms konnte das Capitol nicht mehr mithalten, der eine große und eine winzig kleine Kinosaal waren keine zeitgemäße Aufteilung mehr.

Ende der Achtziger gab es kombinierte Event-Konzert-Kino-Konzepte, die ein paar Jahre hielten, aber nicht profitabel liefen. Das Capitol war nicht mehr rentabel, trotz einer zwischenzeitlichen Renaissance als Programmkino. Doppelnächte, Originalversionen – in dieser Zeit verging keine Woche, in der ich mich nicht in den Capitol-Sesseln fläzte. Aber nur mit meinem Eintrittsgeld und dem einer paar hundert anderer Liebhaber war das Haus nicht zu halten. Mitte der 90er machte die Hütte dicht.

Und in dieser Phase suchten wir ein Büro, eine gute Adresse für unsere Idee. Den Klang hatte das „Capitol, Waldhofstraße 2“ allemal. Das Büro könnten wir haben, sagte uns damals der Vermieter, wir müssten halt nur das ganze Capitol dazu nehmen. Hm. Das bedeutete eine Konzeptänderung – aber warum nicht? Wir gingen das Wagnis ein – zu blauäugig, zu grün hinter den Ohren. Wir hatten ein Konzept, kurz darauf eine GmbH und bald darauf einen mächtigen Verlustvortrag. Steuerlich super, ansonsten eher suboptimal. Es war eben doch nicht so einfach, aus dem Nichts einen nicht subventionierten Kulturbetrieb zu stemmen und Leute ins „Hey, das hat doch aber zu gemacht“-Capitol zu locken. Oder Veranstalter davon zu überzeugen, dass das Haus wieder eine funktionierende Infrastruktur habe. Und Firmen, dass sie bitte ihre Weihnachtsfeier hier abhalten sollten. Wir lernten, dass das Haus keine drei Geschäftsführer finanzieren konnte und strickten um. Mike kümmerte sich wieder mehr um seine Technik, ich konzentrierte mich auf Journalismus und Fernsehen, Thorsten blieb bei der Geschäftsführung.

Die GmbH blieb bestehen, und natürlich kümmerten wir uns nach wie vor zu dritt, inklusive unserer jeweiligen Familien, dass das Haus Bestand hatte. Nach der ersten selbst gemachten, aber überstandenen Krise fielen wir nahtlos in die 2001er-Flaute und von da in unsicher bleibende Zeiten. Aber immerhin erlebten wir sie. Die Veranstaltungen wurden mehr, die Produktionen ambitionierter, der Mix aus Konzerten, Musicals, Parties und Firmen-Events funktionierte. Wir hatten Zuschauer und Besucher, bald mehr als 100.000 im Jahr. Wir nahmen zu Gunsten einer ausgeglicheneren Bilanz neue Gesellschafter an Bord, optimierten Kosten und Prozesse, weiteten das Geschäftsmodell aus und schrumpften es wieder zusammen. Es waren echte Gründerjahre.

Thorsten entwickelte tolle Ideen und Initiativen, die die fehlende Kultur-Förderung aus öffentlichen Töpfen auf privater Basis zum Teil kompensierten – denn ein Teil des Programms, das kann man in den frühen Konzepten nachlesen, sollte kulturell geprägt sein, um die regionale Szene zu befruchten und nicht ausschließlich dem Kommerz dienen. Für notwendige Renovierungen am Gebäude ersann er Sonderaktionen wie beispielsweise die legendären „Stuhl-Patenschaften“, in denen eine Reihe von Groß- und Klein-Sponsoren neues Sitzmobiliar für das Haus ermöglichten. Er hielt das Haus im Griff, gab ihm eine Struktur und vertrat es nach außen. Gleichzeitig stieg die Qualität der Musicals und Produktionen unter der künstlerischen Leitung von Georg Veit und Corinne Kraußer im Lauf der Jahre stetig. Der Weg führte von fertig geschriebenen Stücken zu mehr und mehr selbst gescripteten Geschichten, die das ganze Potenzial des ebenfalls größer werdenden Ensembles entfalteten. Was sich in 15 Jahren alles getan hat, das bewies der Abend zum 85. Geburtstag, der sich chronologisch Song für Song an der Entwicklungsgeschichte entlang hangelte, deutlich.

Heute, Ende 2012, steht das Haus nicht mehr auf ganz tönernen Füßen. Das große Geld hat keiner der Beteiligten daran verdient, weder die Gesellschafter, noch das Ensemble, das mit viel Herzblut die Capitol-Bühne bespielt. Sicherlich auch nicht der Vermieter oder die Belegschaft hinter den Kulissen des Hauses. Was aber alle gewonnen haben, ist das Capitol selbst. Es ist noch da, es lebt, auch wenn es uns das Leben nicht immer leicht gemacht hat. Aber an Abenden wie gestern zeigt es, dass es ein perfekter Ort ist, um Momente zu erleben, an denen man sich noch Wochen danach begeistern kann.

Ich selbst nehme mir an Abenden wie diesen immer vor, wieder öfter die Veranstaltungen im Capitol zu besuchen, mich wieder mehr einzubringen. Auch für 2013 ist das wieder ein – ziemlich guter – Vorsatz. Wieder wird es schwierig werden dieses Vorhaben einzulösen, denn die Entscheidung Fernsehen und Journalismus beim Rhein-Neckar Fernsehen zu machen, war für mich seinerzeit genau so richtig und gut wie das Capitol wieder zu eröffnen. Aber RNF ist inzwischen nunmal mein Hauptjob, er erfordert volle Konzentration und immer wieder zeigt sich, dass das Engagement dort mehr ist als nur ein Beruf.

An einer Stelle liefen meine Steckenpferde Fernsehen und Capitol aber mal ganz gut zusammen – und da schließt sich hier der Kreis zu den „25 frames“: Beim Video zum „Capitol-Song“ habe ich Regie geführt, der Kamera-Kollege Frank Seifert hat es gedreht, Dan Lachozwianski hat es geschnitten. Das Video hat nun auch schon wieder einige Jahre auf dem Buckel, wie der Capitol-Song auch. Aber gestern Abend – da hat der Song den Abend eröffnet. Einen tollen Abend.