Tech Workflow

Schließt die Lücke auf dem iPad: LumaFusion 2.0

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Seit einer Weile überlege ich: Benötige ich überhaupt noch ein Laptop? Ich bin beispielsweise sehr intensiv Lars Bobach und seinem „iPad only“-Experiment gefolgt. Die Argumentation hat ja etwas für sich: Wer nur eine App auf dem iPad geöffnet hat, arbeitet fokussierter. Wer sich mit den Workflows auf dem iPad einmal auseinandergesetzt hat, bekommt so ziemlich alles hin.

Die Mobilität meines 2017er iPad Pro (10.5) finde ich im Verhältnis zur Leistung noch immer faszinierend. Ich habe das Gerät mit Tastatur und Stift quasi immer bei mir. Es hat dafür gesorgt, dass ich im Büro eigentlich kein Papier mehr verarbeite. Mir genügen Scans, PDFs, Evernote, die Apps der G-Suite und einige „supporting Apps“, die meine Workflows unterstützen. Und spätestens seit Safari auf dem iPad einen Desktop-Modus anbietet, in dem er sich quasi identisch verhält wie sein großer Bruder auf dem Mac, gibt es so gut wie keine Einschränkung mehr.

Für mich als Fernsehjournalist gab es dennoch immer noch das ‚Video-Argument‘:

„Ich muss doch schneiden können. Mit meinem Final Cut!“

Wie sich zeigt, ist auch dieses Argument keins mehr.

Essenziell dafür war auf Betriebssystem-Ebene die Einführung von iPad OS und insbesondere die Möglichkeit, Daten von externen Laufwerken und SD-Karten direkt importieren zu können. Und natürlich braucht es eine App, die Video professionell verarbeitet. Das ist seit 2016 LumaFusion, seit Mitte 2019 noch einmal erheblich verbessert in der Version 2.0, inzwischen weiterentwickelt zur Version 2.2.

Für Profis wichtig – ganz allgemein – war die Verdoppelung der möglichen Videospuren von drei auf sechs, ein verbessertes Ordner-Management und optimierte Importmöglichkeiten. Ein Hemmschuh, LumaFusion im Produktionsumfeld unseres TV-Senders näher anzuschauen, waren bisher die limitierten grafischen Möglichkeiten – beispielsweise konnte ich keine zusätzlichen Schriftarten installieren. Ich kann aus heutiger Sicht nicht mehr sagen, seit wann das möglich wurde – jedenfalls habe ich die Anleitung dafür erst jetzt im LumaFusion Reference zur Version 2.2 (PDF) gefunden. Für mich ein Gamechanger, weil ich nun die Schriftarten, die wir für Bauchbinden und grafische Elemente im TV-Bild verwenden, auch auf dem iPad nutzen kann.

Das Interface gleicht dem von Final Cut immer – die Bedienung ist freilich doch recht anders. Obwohl ich mir viele Dinge intuitiv herleiten konnte, war es sinnvoll, den Reference Guide noch einmal durchzuarbeiten. Einige Workarounds und Gesten sind nicht offensichtlich und werden klar, wenn sie einem gewissermaßen unter die Nase gerieben werden. Dass beispielsweise Gesten im Vorschaufenster das Navigieren in den Rohmaterialsequenzen ermöglicht, dass man dadurch In- und Outpunkte setzen kann, framegenau im Material navigieren kann… muss man gelesen haben.

Quelle: LumaFusion 2.2 Reference Guide

Nun. Ich habe mir den Spaß gemacht und einen Beitrag, den ich für unser Nachrichtenmagazin RNF LIFE am 24. April 2020 auf Final Cut geschnitten hatte, mit LumaFusion noch einmal nachzuschneiden – mit nur sehr kleinen Änderungen in der Bildfolge.

Hier der Originalbeitrag:

Und hier das nachgeschnittene Video:

Es existiert tatsächlich kaum ein Unterschied. Die leicht verminderte Bildqualität im zweiten Video im Vergleich zum Video aus der RNF-Mediathek ist vermutlich bei Wandlung auf YouTube entstanden – beim direkten Vergleich auf meinem Monitor hatten beide Videos augenscheinlich die selbe Qualität. Das Schneiden selbst ging rappzapp – nun kannte ich aber auch das Material schon recht gut und wusste, welche Bilder ich benötigen würde. Ich kann mir aber vorstellen, dass es im jetzigen LumaFusion-Workflow sehr komfortabel ist, das Rohmaterial zu sichten und relevante Szenen auszuwählen. Im zweiten Video habe ich darüber hinaus nicht so viel Mühe auf Farbkorrektur und das Angleichen des Weißabgleichs verwendet, obwohl LumaFusion auch hier einige komfortable Funktionen und Voreinstellungen bietet.

Mein Setup

Zurzeit noch drehe ich als VJ mit einer kleinen Canon Legria HF G40. Eindeutig kein High-End-Modell – der Camcorder galt schon vor drei Jahren als „semi-professionell“, hat seinen Dienst aber immer sehr zuverlässig getan. Die maximale Auflösung ist HD, es gibt nur wenig Schnickschnack.

Die Wahl fiel seinerzeit auf dieses Modell, weil es als eines der wenigen in seiner Größe und Klasse nativ Halbbilder (interlaced) produzieren konnte, was wir beim Fernsehen benötig(t)en, um nahtlos produzieren zu können. Für den iPad-Workflow drehe ich nun in 50 fps (also 50 Vollbildern pro Sekunde, progressiv) und wandle sie später in 50 Halbbilder, was problemlos funktioniert. Ich mag die Kompaktheit der Kamera, die aber dennoch genug Möglichkeiten des manuellen Eingreifens bieten (zum Beispiel bei Fokus, Weißabgleich).

O-Töne mache ich mit einem Sennheiser MD 46 – ein für Interviews optimiertes Reportermikrofon.

Die auf SD-Karte im H264/MP4-Format gespeicherten Clips lassen sich ohne weitere Wandlung mit dem Lightning-Adapter (bei neuen Modellen USB-C) aufs iPad transferieren und sofort bearbeiten.

Die Sprache nehme ich in der Regel mit dem iPhone auf. Dabei nutze ich ein Shure MV88 als Mikrofon und die korrespondierende MOTIV-App. Das WAV der Tonaufnahme teile ich per Airdrop aufs iPad.

Als Stativ nutze ich ein günstiges Produkt von Neewer, immerhin mit einem Fluidkopf, erstanden bei Amazon.

Den fertigen Beitrag transferiere ich in den Sender in einen speziell dafür konfigurierten Watched Folder: Sobald dort ein Video abgeladen wird, laufen alle weiteren Prozesse bis in die Sendeabwicklung hinein automatisiert ab. Dort muss der freigegebene Beitrag nur noch auf den Sendeserver übertragen werden.

Mein Fazit

Für Standard-Videos würde das iPad als Produktionsmittel wohl tatsächlich genügen. Mit ein wenig Übung und einer Lernkurve in LumaFusion lassen sich effizient sendefähige Beiträge auf einem Mobilgerät bauen.

Bei aufwändigeren Videos, die eine exakte Farbnachbearbeitung oder Tonmischung benötigen, würde ich wohl eher den „großen“ Schnittplatz mit Referenzmonitor wählen. Aber auch hier bietet LumaFusion jetzt einen Königsweg: Auf dem iPad begonnene Projekte können per XML-Export und via Airdrop zu Final Cut Pro X übertragen werden, entweder mit allen Rohmaterialessenzen oder konsolidiert mit „Blendenfleisch“ am einzelnen Clip. Der Test dieser Funktion hat mich begeistert. Von bestimmten, in LumaFusion proprietär vorgesehenen Funktionen (bestimmte Farbkorrekturen und Tonbearbeitungen) abgesehen, wird die Timeline inklusive Blenden übergeben und kann im professionellen Programm zu Ende bearbeitet werden.

XML-Export von LumaFusion zu Final Cut Pro X.