Lesezeit: 640 Sekunden
Am Freitag haben wir in der Sendereihe „Zur Sache“ auf RNF über „50 Jahre Jugend forscht“ gesprochen. Es war – aus meiner Warte als Moderator – eine unterhaltsame Runde, die den Wettbewerb aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtete. Das Video ist weiter unten in diesem Artikel eingebettet. Es waren einige heitere Anekdoten dabei. Eine Teilnehmerin ließ ihre Emotionen aus dem Jahr 1991 Revue passieren (sie hatte den zweiten Platz im Bundesentscheid belegt), und die Vertreterin der BASF als Gastgeberin des Finales sprach über die Verbindungen der Industrie zu dem Wettbewerb, der ins Leben gerufen worden war, um die MINT-Fächer zu fördern, als die noch gar nicht so hießen.
Vergleichsweise ernst wurde die Runde allerdings, als es um die Rolle der Schulen in dem Wettbewerb ging. Es wurde klar, dass der Regelschulbetrieb nicht ausreicht, um Kinder und Jugendliche zu außerordentlichen Erlebnissen zu führen. Ich vermeide ausdrücklich den Ausdruck „außerordentliche Leistungen“ – denn darum geht zunächst einmal gar nicht. Nicht bei „Jugend forscht“ und auch nicht bei sonstigen Schulprojekten. „Jugend forscht“ dient an dieser Stelle nur als plakatives und aktuelles Beispiel.
„Jugend forscht“ zeichnet sich dadurch aus, dass Jahr für Jahr mehrere tausend Jugendliche sich daran machen, selbst etwas zu erforschen, Neues zu entdecken, Terra incognita zu betreten. Haben sie sich erst einmal auf die Reise gemacht, sind sie selten zu stoppen, weil die Begeisterung sie immer weiter antreibt. Das ist das eigentliche Ziel von „Jugend forscht“. Am Ende küren Juroren die Projekte, die am weitesten gediehen, am ausgefuchstesten, am interessantesten präsentiert sind. Auf die Eigenleistung der Jugendlichen werde besonders Wert gelegt, sagte Dr. Sven Baszio, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung „Jugend forscht“.
Begeisterte Schüler. Begeisterte Lehrer.
Wir haben darüber gesprochen, welches die Erfolgsfaktoren eines Forschungsprojektes sind: Ganz offensichtlich braucht es ein Schulumfeld, das die Extra-Anstrengungen der Schüler fördert und wertschätzt. Es muss also ein Rahmen abgesteckt sein, innerhalb dessen sich kleine „Jugend forscht“-Pflänzchen entfalten können. Und es braucht Lehrerpersönlichkeiten, die fördern, ohne zu erdrücken. Lehrer, die Freiräume geben, die sich zurücknehmen, aber dennoch unterstützen. Lehrer, die ehrenamtlich Zeit investieren.
Ganz offenbar ist eine Art Konkurrenzkampf um dieses ehrenamtliche Engagement an Schulen entbrannt. Viele – zu viele – Initiativen buhlen um zusätzliche Zeit für Schüler, seit klar ist, dass hier viel Potenzial schlummert.
Ich frage mich, warum es in der zusätzlichen Zeit geschehen muss, dass Schüler Spaß am Lernen haben? Wenn es tatsächlich so ist, dass Schüler am intensivsten bei der Sache sind, wenn sie selbst am Hebel sitzen und Dinge tun dürfen, wenn das der eigentliche Erfolgsfaktor für bessere Bildung ist – warum lässt man sie das nicht viel häufiger tun? Wohin man hört und schaut: Alle Beteiligten sind regelmäßig hellauf begeistert, wenn sie Schülerinnen und Schüler in Projekten erleben, in denen sie sich selbst etwas erarbeiten. Mit Feuereifer seien sie dabei, so kreativ, so ausdauernd. Ja bitte – dann lasst sie doch dranbleiben. In der Schule. Jeden Vormittag. Immer. Nicht nur in den Projektwochen kurz vor den Ferien.
Es ist schon klar, dass sich das nicht immer durchhalten lässt. Vokabeln kann man schlecht in Projektform erarbeiten. Die muss man irgendwann halt auch einfach mal lernen. Aber anwenden kann man sie kreativ. In Sketchen, Songtexten, Videos, interdisziplinär. Das Feuer steckt in den Kindern. Man muss es nur lodern lassen.
Nun weiß ich natürlich, dass es Lehrer gibt, die diese Auffassung teilen. Es gibt auch nicht „die“ Lehrer, die sich zeitgemäßer Schulbildung verweigern. Quatsch. Vieles ist im Aufbruch. Aber der Rahmen ist häufig noch so gesteckt, dass Lehrer ihre vor Jahrzehnten konzipierten Schulstunden halten können, ohne dass jemand etwas dagegen unternehmen würde.
Gute Schulen. Schlechte Schulen.
Mein Sohn fing sich im Musikunterricht der sechsten Klasse eine „sechs“ ein, weil er den „Karneval der Tiere“ nicht schriftlich interpretieren konnte. Blöd dabei: Niemand hatte sich zuvor die Mühe gemacht, den Kindern ein Gefühl für Noten zu vermitteln. Weder konnten sie sie lesen, geschweige denn auf irgendeinem Instrument reproduzieren. Darauf angesprochen sagte die Lehrerin, sie habe keine Zeit die Kinder selbst musizieren zu lassen. Im Musikunterricht! Der Sohn hatte in den anderthalb Jahre zuvor nichts selbst tun dürfen außer still zu sitzen und zuzuhören. Verstanden hat er dabei nichts. Die Konsequenz war die schlechte Note – die ihn nicht wirklich zu einem Streben nach Höherem anspornte. Wir schauten uns das Drama noch eine Weile an und ließen ihn dann die Schule wechseln.
Andererseits durfte er vor nicht allzu langer Zeit – inzwischen als Neuntklässler – in Biologie gemeinsam mit einem Freund einen Vortrag erarbeiten. Selbstständig. Die beiden erstellten gemeinsam remote eine Google-Präsentation, recherchierten online, nahmen auf dem Weg noch etwas zu den Themenkreisen Quellenkritik und Medienkompetenz mit, stimmten sich als Team ab und waren voll bei der Sache. An manchen Abenden bis tief in die Nacht. Das Ding mit dem eigenverantwortlichen Arbeiten – es funktionierte. Wieder.
Erstmals in Baden-Württemberg lehrt nun die Gemeinschaftsschule nach diesen Erkenntnissen. Stark verkürzt gesagt: Das Projekt wird zur Dauereinrichtung. Elemente, die zur Begeisterung von Jugendlichen beitragen, werden gestärkt. Lernbüros statt Frontalunterricht, individuelle Förderung, Förderung von Schlüsselqualifikationen, Experten unter den Schülern leiten andere Schüler an, die bei bestimmten Themen oder in bestimmten Fächern noch Defizite haben. Elemente übrigens, die an der SRH Hochschule Heidelberg im Rahmen des CORE-Prinzips auch Studenten zu besseren Lernerfolgen anspornen – worüber die Bildungswissenschaftlerin Prof. Dr. Julia Rózsa in unserer Fernsehdiskussion unter anderem berichtete.
Eltern glauben an dieses Konzept: Die Gemeinschaftsschulen verbuchen steigende Anmeldezahlen, während andere Schularten Federn lassen müssen. Eine neu eingerichtete Gemeinschaftsschule in unserem Nachbarort bekam 94 Anmeldungen – konnte aber nur 58 Kinder aufnehmen. Kritiker führen an, dass das Land Gemeinschaftsschulen überproportional fördere – daher seien Erfolgsmeldungen quasi zwangsläufig.
Ich interpretiere die Entwicklung anders: Nach vielen Jahren des Stillstands bietet sich Eltern endlich eine frische Alternative, eine echte Chance gegen immer weitere Horrormeldungen aus muffigen Klassenzimmern. Und nun stimmen sie mit den Anmeldezetteln ab. Es ist, als habe in einem Ort mit drei Bäckern, von denen der eine immer nur hartgetrocknete weiße Brötchen, der zweite immer nur hartgetrocknete dunkle Brötchen und der dritte immer nur hartes Weiß- und Schwarzbrot angeboten hatte, ein vierter eröffnet, der nun eine Palette von frischen, leckeren Waren in der Auslage hat. Wo werden die Leute künftig wohl einkaufen?
Frische Brötchen. Alte Brötchen.
Nun kann man sagen: „Es gab doch immer genug Brot für alle, es sind immer alle satt geworden, alle Bäcker haben ihr Handwerk gelernt, der neue macht die alten nur kaputt. Weg mit ihm!“ Oder man kann einfach akzeptieren, dass die Zeiten sich geändert haben und neue Rezepte auf dem Markt sind, die eine bessere Qualität bieten. Die anderen Bäcker täten eventuell gut daran, diese Entwicklung zumindest wahrzunehmen. Sie müssten nicht alles kopieren, sie müssten nicht alles übernehmen. Sie könnten ihren Charakter behalten und sich evolutionär entwickeln. Dann wäre der Markt möglicherweise groß genug für alle.
Tatsache ist allerdings – und da kann man die Kritiker wohl beruhigen – dass nicht zu befürchten steht, dass künftig alle Kinder bildungstechnisch mit frischeren Waren ernährt werden, um im Bild zu bleiben. Bildung ist kein Volksthema. Oder anders gesagt: Bildung geht für einen Großteil der Bevölkerung nicht durch den Magen. Sie wühlt – wenn man nicht gerade selbst davon betroffen ist – keine Emotionen auf. Daher gehen auf diesem Feld Veränderungen auch nicht so rasch voran – wie bei uns vor der Haustür zu beobachten war.
Vor knapp zwei Jahren hätte unsere Heimatgemeinde die Chance gehabt, Teil der oben beschriebenen Gemeinschaftsschule zu werden, die jüngst von Anmeldungen überhäuft wurde. Gemeinderat und Bürgermeister stellten die Entscheidung den Bürgern frei, die bisher als Werkrealschule am Ort geführte weiterführende Schule als Gemeinschaftsschule im Zweckverband zu erhalten. Ein Bürgerentscheid sollte ergeben, ob in die neue Schulart investiert würde oder nicht. Die Verwaltung mochte sich damals nicht zu einer Haltung pro Schule entschließen. Die Begründung: Der Betrieb einer weiterführenden Schule in unserem Ort sei eine freiwillige Leistung, keine Pflichtaufgabe. Die Diskussion innerhalb zumindest eines Teils der Bürgerschaft wurde leidenschaftlich geführt. Kritiker der Gemeinschaftsschule argumentierten, das Schulmodell sei eine „Einheitsschule, die alle gleich machen“ wolle. Die Befürworter entgegneten, die Schüler würden individuell gefördert; zudem müssten sie sich nicht bereits in Klassenstufe vier für ihre weitere Schulkarriere entscheiden, sondern hätten weiter alle Bildungswege offen. Wie auch immer: Für Feinheiten oder Rationalität war in dieser Art „Wahlkampf“ bald kein Raum mehr. Ich behaupte: Eine große Anzahl an Menschen (nämlich die ohne Kinder, die mit lange schon erwachsenen Kindern und die mit noch sehr jungen Kindern) konnte nicht nachvollziehen, über welche Details da am Ende gezankt wurde. Die Bürgerschaft stimmte schließlich gegen die Teilnahme am Modell Gemeinschaftsschule. Die Werkrealschule wurde aufgelöst. Heute gibt es keine weiterführende Schule mehr in unserem Ort. Eine demokratische Entscheidung. Abgehakt. Akzeptiert.
Gesellschaftliche Verantwortung in der Bildung
Meine Frau und ich setzten uns damals deutlich für die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule ein. Warum? Aus Überzeugung. Weil wir in unserem Job als TV-Redakteure häufig die Chance hatten, in Bildungsinitiativen hineinzuschauen und mit Experten zu sprechen. Im Laufe der Jahre hat sich dadurch eine Haltung zu Bildungsthemen gebildet – nicht ad hoc, sondern nach und nach. Eine Grunderkenntnis daraus: Ich bin der Meinung, dass Kinder, die in der Schule begeistert sind, mehr und besser lernen. Dass sie aus dieser Position heraus nach der Schule besser entscheiden können, was sie aus ihrem Leben machen möchten. Und dass sie so unserer Gesellschaft besser helfen können. Deutschland hat so wenige Kinder, dass es sich nicht leisten kann, sie vor sich hin vagabundieren zu lassen. Das Ziel muss doch sein, jedes Kind in unserer Gesellschaft so zu platzieren, dass es seine Begabung als Erwachsener ideal entfalten kann. So wie „Jugend forscht“ regelmäßig junge Menschen hervorbringt, die ihr Leben am Ende ihrer Schulbildung besser überblicken. Gerade in diesem Tagen des Jubiläums werden sie durch Zeitungen, Radio- und TV-Sendungen gereicht – wie ja auch bei uns, bei RNF.
Das Prinzip „Jugend forscht“ scheint also nachhaltig zu wirken und Lebenslinien beeinflussen zu können. Nun muss nicht jede oder jeder Naturwissenschaftler werden – aber jeder sollte eine Chance bekommen, seine Begabung zu erkennen. Bei „Jugend forscht“ sind das eben in der Regel die Naturwissenschaftler, die es dann am Ende auch zu Finalteilnahmen in Landes- und Bundeswettbewerben bringen. Es wird ausreichend Kinder im Verlauf des Wettbewerbs geben, die spüren, dass Naturwissenschaft nicht ihr Ding ist. Aber wo erfahren sie ihre Begabung dann? Wo können sie wie bei „Jugend forscht“ so intensiv erfahren, ob sie gute Richter, Sozialarbeiter, Erzieher oder Zimmerleute wären? Sicher – es gibt Praktika. Aber werden die so engagiert geführt wie ein „Jugend forscht“-Projekt? Ich bleibe in diesem Beispiel dabei: Wo „Jugend forscht“ nicht greift, bleibt das Erkennen der Begabung im üblichen Schulsystem nicht selten auf der Strecke.
Kluge, verständige, selbstbewusste junge Erwachsene gibt es nicht zum Nulltarif. Bildung kostet Geld. Und Zeit. Und zuweilen Engagement über das Normale hinaus. Dafür – für diese „freiwillige Leistung“ – wollte in unserer Gemeinde die Mehrheit die Verantwortung nicht übernehmen. Weder zunächst im Gemeinderat, noch später im Bürgerentscheid. Das finde ich nach wie vor sehr schade. Ich hätte gerne gesehen, dass unsere Gemeinde Bildung als wichtige gesellschaftliche Aufgabe erachtet – und sich „freiwillig“ dieser Aufgabe stellt. Es wäre ein Zeichen gewesen.
Vermutlich hat auch das Konzept Gemeinschaftsschule seine Haken und Ösen, wahrscheinlich wird die Vision einer besseren Bildungswelt auch hier von der Realität eingeholt. Aber sie ist ein Anfang zur Veränderung. Und allein dieser Anfang war dringend vonnöten.
Die gesamte Sendung „Zur Sache“ über „50 Jahre Jugend forscht“ ist hier zu sehen.
Auszug aus der Moderation:
In der kommenden Woche wird in Ludwigshafen gefeiert – ein Doppeljubiläum: Die BASF, die in diesem Jahr 150 Jahre alt wird, richtet den Bundeswettbewerb von „Jugend forscht“ aus. Und „Jugend forscht“ wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Das nehmen wir zum Anlass, um in dieser Ausgabe von „Zur Sache“ die Hintergründe von „Jugend forscht“ zu beleuchten: Seine Verbindungen zu Unternehmen und Politik und seine Auswirkungen auf Schule und Bildungspolitik.
Es diskutieren:
- Karin Heyl, Leiterin Gesellschaftliches Engagement BASF SE
- Dr. Sven Baszio, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Jugend forscht
- Tanja Castor, BASF-Mitarbeiterin und Zweitplatzierte bei Jugend forscht, Bundeswettbewerb 1991, Fachgebiet Biologie
- Prof. Dr. Julia Rózsa, SRH Hochschule Heidelberg, Leiterin der Akademie für Hochschullehre
Bild: Pressefoto „Jugend forscht“
Lesezeit: 640 Sekunden
Am Freitag haben wir in der Sendereihe „Zur Sache“ auf RNF über „50 Jahre Jugend forscht“ gesprochen. Es war – aus meiner Warte als Moderator – eine unterhaltsame Runde, die den Wettbewerb aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtete. Das Video ist weiter unten in diesem Artikel eingebettet. Es waren einige heitere Anekdoten dabei. Eine Teilnehmerin ließ ihre Emotionen aus dem Jahr 1991 Revue passieren (sie hatte den zweiten Platz im Bundesentscheid belegt), und die Vertreterin der BASF als Gastgeberin des Finales sprach über die Verbindungen der Industrie zu dem Wettbewerb, der ins Leben gerufen worden war, um die MINT-Fächer zu fördern, als die noch gar nicht so hießen.
Vergleichsweise ernst wurde die Runde allerdings, als es um die Rolle der Schulen in dem Wettbewerb ging. Es wurde klar, dass der Regelschulbetrieb nicht ausreicht, um Kinder und Jugendliche zu außerordentlichen Erlebnissen zu führen. Ich vermeide ausdrücklich den Ausdruck „außerordentliche Leistungen“ – denn darum geht zunächst einmal gar nicht. Nicht bei „Jugend forscht“ und auch nicht bei sonstigen Schulprojekten. „Jugend forscht“ dient an dieser Stelle nur als plakatives und aktuelles Beispiel.
„Jugend forscht“ zeichnet sich dadurch aus, dass Jahr für Jahr mehrere tausend Jugendliche sich daran machen, selbst etwas zu erforschen, Neues zu entdecken, Terra incognita zu betreten. Haben sie sich erst einmal auf die Reise gemacht, sind sie selten zu stoppen, weil die Begeisterung sie immer weiter antreibt. Das ist das eigentliche Ziel von „Jugend forscht“. Am Ende küren Juroren die Projekte, die am weitesten gediehen, am ausgefuchstesten, am interessantesten präsentiert sind. Auf die Eigenleistung der Jugendlichen werde besonders Wert gelegt, sagte Dr. Sven Baszio, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung „Jugend forscht“.
Begeisterte Schüler. Begeisterte Lehrer.
Wir haben darüber gesprochen, welches die Erfolgsfaktoren eines Forschungsprojektes sind: Ganz offensichtlich braucht es ein Schulumfeld, das die Extra-Anstrengungen der Schüler fördert und wertschätzt. Es muss also ein Rahmen abgesteckt sein, innerhalb dessen sich kleine „Jugend forscht“-Pflänzchen entfalten können. Und es braucht Lehrerpersönlichkeiten, die fördern, ohne zu erdrücken. Lehrer, die Freiräume geben, die sich zurücknehmen, aber dennoch unterstützen. Lehrer, die ehrenamtlich Zeit investieren.
Ganz offenbar ist eine Art Konkurrenzkampf um dieses ehrenamtliche Engagement an Schulen entbrannt. Viele – zu viele – Initiativen buhlen um zusätzliche Zeit für Schüler, seit klar ist, dass hier viel Potenzial schlummert.
Ich frage mich, warum es in der zusätzlichen Zeit geschehen muss, dass Schüler Spaß am Lernen haben? Wenn es tatsächlich so ist, dass Schüler am intensivsten bei der Sache sind, wenn sie selbst am Hebel sitzen und Dinge tun dürfen, wenn das der eigentliche Erfolgsfaktor für bessere Bildung ist – warum lässt man sie das nicht viel häufiger tun? Wohin man hört und schaut: Alle Beteiligten sind regelmäßig hellauf begeistert, wenn sie Schülerinnen und Schüler in Projekten erleben, in denen sie sich selbst etwas erarbeiten. Mit Feuereifer seien sie dabei, so kreativ, so ausdauernd. Ja bitte – dann lasst sie doch dranbleiben. In der Schule. Jeden Vormittag. Immer. Nicht nur in den Projektwochen kurz vor den Ferien.
Es ist schon klar, dass sich das nicht immer durchhalten lässt. Vokabeln kann man schlecht in Projektform erarbeiten. Die muss man irgendwann halt auch einfach mal lernen. Aber anwenden kann man sie kreativ. In Sketchen, Songtexten, Videos, interdisziplinär. Das Feuer steckt in den Kindern. Man muss es nur lodern lassen.
Nun weiß ich natürlich, dass es Lehrer gibt, die diese Auffassung teilen. Es gibt auch nicht „die“ Lehrer, die sich zeitgemäßer Schulbildung verweigern. Quatsch. Vieles ist im Aufbruch. Aber der Rahmen ist häufig noch so gesteckt, dass Lehrer ihre vor Jahrzehnten konzipierten Schulstunden halten können, ohne dass jemand etwas dagegen unternehmen würde.
Gute Schulen. Schlechte Schulen.
Mein Sohn fing sich im Musikunterricht der sechsten Klasse eine „sechs“ ein, weil er den „Karneval der Tiere“ nicht schriftlich interpretieren konnte. Blöd dabei: Niemand hatte sich zuvor die Mühe gemacht, den Kindern ein Gefühl für Noten zu vermitteln. Weder konnten sie sie lesen, geschweige denn auf irgendeinem Instrument reproduzieren. Darauf angesprochen sagte die Lehrerin, sie habe keine Zeit die Kinder selbst musizieren zu lassen. Im Musikunterricht! Der Sohn hatte in den anderthalb Jahre zuvor nichts selbst tun dürfen außer still zu sitzen und zuzuhören. Verstanden hat er dabei nichts. Die Konsequenz war die schlechte Note – die ihn nicht wirklich zu einem Streben nach Höherem anspornte. Wir schauten uns das Drama noch eine Weile an und ließen ihn dann die Schule wechseln.
Andererseits durfte er vor nicht allzu langer Zeit – inzwischen als Neuntklässler – in Biologie gemeinsam mit einem Freund einen Vortrag erarbeiten. Selbstständig. Die beiden erstellten gemeinsam remote eine Google-Präsentation, recherchierten online, nahmen auf dem Weg noch etwas zu den Themenkreisen Quellenkritik und Medienkompetenz mit, stimmten sich als Team ab und waren voll bei der Sache. An manchen Abenden bis tief in die Nacht. Das Ding mit dem eigenverantwortlichen Arbeiten – es funktionierte. Wieder.
Erstmals in Baden-Württemberg lehrt nun die Gemeinschaftsschule nach diesen Erkenntnissen. Stark verkürzt gesagt: Das Projekt wird zur Dauereinrichtung. Elemente, die zur Begeisterung von Jugendlichen beitragen, werden gestärkt. Lernbüros statt Frontalunterricht, individuelle Förderung, Förderung von Schlüsselqualifikationen, Experten unter den Schülern leiten andere Schüler an, die bei bestimmten Themen oder in bestimmten Fächern noch Defizite haben. Elemente übrigens, die an der SRH Hochschule Heidelberg im Rahmen des CORE-Prinzips auch Studenten zu besseren Lernerfolgen anspornen – worüber die Bildungswissenschaftlerin Prof. Dr. Julia Rózsa in unserer Fernsehdiskussion unter anderem berichtete.
Eltern glauben an dieses Konzept: Die Gemeinschaftsschulen verbuchen steigende Anmeldezahlen, während andere Schularten Federn lassen müssen. Eine neu eingerichtete Gemeinschaftsschule in unserem Nachbarort bekam 94 Anmeldungen – konnte aber nur 58 Kinder aufnehmen. Kritiker führen an, dass das Land Gemeinschaftsschulen überproportional fördere – daher seien Erfolgsmeldungen quasi zwangsläufig.
Ich interpretiere die Entwicklung anders: Nach vielen Jahren des Stillstands bietet sich Eltern endlich eine frische Alternative, eine echte Chance gegen immer weitere Horrormeldungen aus muffigen Klassenzimmern. Und nun stimmen sie mit den Anmeldezetteln ab. Es ist, als habe in einem Ort mit drei Bäckern, von denen der eine immer nur hartgetrocknete weiße Brötchen, der zweite immer nur hartgetrocknete dunkle Brötchen und der dritte immer nur hartes Weiß- und Schwarzbrot angeboten hatte, ein vierter eröffnet, der nun eine Palette von frischen, leckeren Waren in der Auslage hat. Wo werden die Leute künftig wohl einkaufen?
Frische Brötchen. Alte Brötchen.
Nun kann man sagen: „Es gab doch immer genug Brot für alle, es sind immer alle satt geworden, alle Bäcker haben ihr Handwerk gelernt, der neue macht die alten nur kaputt. Weg mit ihm!“ Oder man kann einfach akzeptieren, dass die Zeiten sich geändert haben und neue Rezepte auf dem Markt sind, die eine bessere Qualität bieten. Die anderen Bäcker täten eventuell gut daran, diese Entwicklung zumindest wahrzunehmen. Sie müssten nicht alles kopieren, sie müssten nicht alles übernehmen. Sie könnten ihren Charakter behalten und sich evolutionär entwickeln. Dann wäre der Markt möglicherweise groß genug für alle.
Tatsache ist allerdings – und da kann man die Kritiker wohl beruhigen – dass nicht zu befürchten steht, dass künftig alle Kinder bildungstechnisch mit frischeren Waren ernährt werden, um im Bild zu bleiben. Bildung ist kein Volksthema. Oder anders gesagt: Bildung geht für einen Großteil der Bevölkerung nicht durch den Magen. Sie wühlt – wenn man nicht gerade selbst davon betroffen ist – keine Emotionen auf. Daher gehen auf diesem Feld Veränderungen auch nicht so rasch voran – wie bei uns vor der Haustür zu beobachten war.
Vor knapp zwei Jahren hätte unsere Heimatgemeinde die Chance gehabt, Teil der oben beschriebenen Gemeinschaftsschule zu werden, die jüngst von Anmeldungen überhäuft wurde. Gemeinderat und Bürgermeister stellten die Entscheidung den Bürgern frei, die bisher als Werkrealschule am Ort geführte weiterführende Schule als Gemeinschaftsschule im Zweckverband zu erhalten. Ein Bürgerentscheid sollte ergeben, ob in die neue Schulart investiert würde oder nicht. Die Verwaltung mochte sich damals nicht zu einer Haltung pro Schule entschließen. Die Begründung: Der Betrieb einer weiterführenden Schule in unserem Ort sei eine freiwillige Leistung, keine Pflichtaufgabe. Die Diskussion innerhalb zumindest eines Teils der Bürgerschaft wurde leidenschaftlich geführt. Kritiker der Gemeinschaftsschule argumentierten, das Schulmodell sei eine „Einheitsschule, die alle gleich machen“ wolle. Die Befürworter entgegneten, die Schüler würden individuell gefördert; zudem müssten sie sich nicht bereits in Klassenstufe vier für ihre weitere Schulkarriere entscheiden, sondern hätten weiter alle Bildungswege offen. Wie auch immer: Für Feinheiten oder Rationalität war in dieser Art „Wahlkampf“ bald kein Raum mehr. Ich behaupte: Eine große Anzahl an Menschen (nämlich die ohne Kinder, die mit lange schon erwachsenen Kindern und die mit noch sehr jungen Kindern) konnte nicht nachvollziehen, über welche Details da am Ende gezankt wurde. Die Bürgerschaft stimmte schließlich gegen die Teilnahme am Modell Gemeinschaftsschule. Die Werkrealschule wurde aufgelöst. Heute gibt es keine weiterführende Schule mehr in unserem Ort. Eine demokratische Entscheidung. Abgehakt. Akzeptiert.
Gesellschaftliche Verantwortung in der Bildung
Meine Frau und ich setzten uns damals deutlich für die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule ein. Warum? Aus Überzeugung. Weil wir in unserem Job als TV-Redakteure häufig die Chance hatten, in Bildungsinitiativen hineinzuschauen und mit Experten zu sprechen. Im Laufe der Jahre hat sich dadurch eine Haltung zu Bildungsthemen gebildet – nicht ad hoc, sondern nach und nach. Eine Grunderkenntnis daraus: Ich bin der Meinung, dass Kinder, die in der Schule begeistert sind, mehr und besser lernen. Dass sie aus dieser Position heraus nach der Schule besser entscheiden können, was sie aus ihrem Leben machen möchten. Und dass sie so unserer Gesellschaft besser helfen können. Deutschland hat so wenige Kinder, dass es sich nicht leisten kann, sie vor sich hin vagabundieren zu lassen. Das Ziel muss doch sein, jedes Kind in unserer Gesellschaft so zu platzieren, dass es seine Begabung als Erwachsener ideal entfalten kann. So wie „Jugend forscht“ regelmäßig junge Menschen hervorbringt, die ihr Leben am Ende ihrer Schulbildung besser überblicken. Gerade in diesem Tagen des Jubiläums werden sie durch Zeitungen, Radio- und TV-Sendungen gereicht – wie ja auch bei uns, bei RNF.
Das Prinzip „Jugend forscht“ scheint also nachhaltig zu wirken und Lebenslinien beeinflussen zu können. Nun muss nicht jede oder jeder Naturwissenschaftler werden – aber jeder sollte eine Chance bekommen, seine Begabung zu erkennen. Bei „Jugend forscht“ sind das eben in der Regel die Naturwissenschaftler, die es dann am Ende auch zu Finalteilnahmen in Landes- und Bundeswettbewerben bringen. Es wird ausreichend Kinder im Verlauf des Wettbewerbs geben, die spüren, dass Naturwissenschaft nicht ihr Ding ist. Aber wo erfahren sie ihre Begabung dann? Wo können sie wie bei „Jugend forscht“ so intensiv erfahren, ob sie gute Richter, Sozialarbeiter, Erzieher oder Zimmerleute wären? Sicher – es gibt Praktika. Aber werden die so engagiert geführt wie ein „Jugend forscht“-Projekt? Ich bleibe in diesem Beispiel dabei: Wo „Jugend forscht“ nicht greift, bleibt das Erkennen der Begabung im üblichen Schulsystem nicht selten auf der Strecke.
Kluge, verständige, selbstbewusste junge Erwachsene gibt es nicht zum Nulltarif. Bildung kostet Geld. Und Zeit. Und zuweilen Engagement über das Normale hinaus. Dafür – für diese „freiwillige Leistung“ – wollte in unserer Gemeinde die Mehrheit die Verantwortung nicht übernehmen. Weder zunächst im Gemeinderat, noch später im Bürgerentscheid. Das finde ich nach wie vor sehr schade. Ich hätte gerne gesehen, dass unsere Gemeinde Bildung als wichtige gesellschaftliche Aufgabe erachtet – und sich „freiwillig“ dieser Aufgabe stellt. Es wäre ein Zeichen gewesen.
Vermutlich hat auch das Konzept Gemeinschaftsschule seine Haken und Ösen, wahrscheinlich wird die Vision einer besseren Bildungswelt auch hier von der Realität eingeholt. Aber sie ist ein Anfang zur Veränderung. Und allein dieser Anfang war dringend vonnöten.
Die gesamte Sendung „Zur Sache“ über „50 Jahre Jugend forscht“ ist hier zu sehen.
Auszug aus der Moderation:
In der kommenden Woche wird in Ludwigshafen gefeiert – ein Doppeljubiläum: Die BASF, die in diesem Jahr 150 Jahre alt wird, richtet den Bundeswettbewerb von „Jugend forscht“ aus. Und „Jugend forscht“ wird in diesem Jahr 50 Jahre alt. Das nehmen wir zum Anlass, um in dieser Ausgabe von „Zur Sache“ die Hintergründe von „Jugend forscht“ zu beleuchten: Seine Verbindungen zu Unternehmen und Politik und seine Auswirkungen auf Schule und Bildungspolitik.
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Bild: Pressefoto „Jugend forscht“
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